Warum?

Es ist der 17. August 2017, 22:49 Uhr. Ich bin in Wetzlar.

Kaum war mein Beitrag von heute fertig getippt, musste ich los. Weg, nur weg.

Ich entschied mich für den Rhein. Meine Schwester hatte uns 2015 zu einer kulinarischen Stadtführung in Fulda eingeladen. Auf dieser probierte ich einen Wein aus Rheinhessen, der mir so gut schmeckte, dass ich eine Flasche mit nach Hause nahm. Sie enthielt nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Aromen des schönen, entspannten, sonnigen Tages mit allerlei Freuden des Gaumens und des vertrauensvollen Beisammenseins. Ich hob die Flasche all die Jahre auf.

Heute verriet mir mein Motorradnavigationsgerät den Weg zum Winzer dieses Weins nach Lorch am Rhein. Völlig unkompliziert öffnete man mir nach einem kurzen Telefonat die eigentlich geschlossene Tür des Ausschankraumes. Ich probierte drei ihrer Weine und entschloss mich schnell, aber sicher, dass mir der auf Grauschiefer gewachsene Riesling erneut am besten schmeckte, und nahm eine Kiste mit.

Ich freute mich darüber, ein Ziel für meine Reise gehabt zu haben, also eben nicht ziellos herumgefahren zu sein – wenn auch auf vielen kurvige Umwegen :-). Irgendwann hatte ich mein Ziel erreicht.

Und jetzt?

Der Weg machte mir Freude. Nicht (nur) das Ziel.

________________________________

Der Camino.

Ähnlich unvorbereitet wie auf den PCT werde ich anreisen.

Warum? Habe ich ein Ziel? Ist es nur ein Weglaufen? Ein hastiges Füllen der Zeit, die mir noch bleibt? Was will ich da?

Gerade jetzt im Moment fühle ich mich stumpf ob dieser Fragen, vielleicht auch der mittennächtlichen Zeit geschuldet (Freitag, 18. August, 02:51 Uhr). Auch meine Kritiker wenden sich gelangweilt ab, wiegen sich in Sicherheit: „Das wird doch sowieso wieder nichts“.

Aber was soll es denn auch werden?

Mein Wunsch heißt: Nicht werden, sondern sein.

Wahrnehmen, was ist. Offen sein für das, was ich spüre, sehe, für das, was oder wer mir begegnet. Offen sein und Mitgefühl haben für mich, aber auch für die Wesen am Weg. Mir ein guter Begleiter sein, auch an schlechten Tagen.

Wo stehe ich im Moment?

Ich weiß nun, dass mein innerer Chor sich eine tragende Stimme in ihren, inneren Reihen wünscht. Eine, die die Melodie kennt und dem Chor das Vertrauen vermittelt, das er braucht, um dem Üben, also dem Leben, zu vertrauen. In meinem Gefühl ist es eine männliche Stimme. Er singt manchmal ohne deutlich hörbar zu sein, summt bisweilen, ermutigt die leisen, freundlichen Stimmen und beruhigt die Ausreißer. Er drängt sich nicht vor, ist aber immer da. Er vermittelt Ruhe und Sicherheit, hat Geduld und Zuversicht. Der Chor braucht das Gefühl, dass diese tragende Stimme bei ihnen bleibt, auch wenn ihre Stimmen brüchig, eintönig, furchtsam, unanhörlich oder noch völlig tonlos sind. Verlässlichkeit.

In meiner Phantasie versuche ich dieser „inneren Vaterstimme“ mehr und mehr Gestalt zu geben.

Es geht also um das Vertrauen.

Welches ich auch brauche, um real auf diesen, neuen Weg zu gehen.

Von dem ich so wenig weiß.

Für den ich nicht vorbereitet bin. Weiß ich doch jetzt im Moment noch nicht mal, welches Ziel der Bus hat, in den ich steigen werde. Und wann er wo abfährt.

Ich werde gehen.

Und mit dem ersten Schritt, so wie mit allen weiteren, Vertrauen üben – also leben.

Was ich erreichen werde ist offen.

Möge es dann mein Ziel sein.