Wie gut das tut

Gestern habe ich erst mal ein Bad genommen. Ich glaube, kein Mensch, der nicht schon mal Ähnliches erlebt hat, kann sich vorstellen, wie dreckig man nach nur 1,5 Tagen auf dem Trail sein kann. Aber es war nicht nur der Staub, den ich mir da von Körper gewaschen habe: Ich habe immer wieder den Eindruck, ein Teil der erlebten Anstrengung der vergangenen Tage fließt mit einer schönen Körperwäsche von mir ab.

Einfach und wunderbar.

Aber nicht nur das. Gutes Essen tut gut. So war ich frühstücken und habe im Teddy Bear Restaurant Pancakes bestellt und mit Butter und Sirup gegessen.

Dabei habe ich noch Jens getroffen, mit dem ich vor 22 Tagen in Campo gestartet bin. Er gehört zu den Menschen, in deren Nähe ich mich wohl fühlen kann.

Ich habe Wäsche gewaschen. Auch saubere, von Staub, Schweiß und Blut gereinigte Wäsche am Körper zu tragen, ist eine Wohltat.

Und dann kam Matthias hier an, als wenn alles so sein sollte, um mein Erholungsprogramm perfekt zu machen.

Wie lange ich noch bleiben werde, weiß ich nicht. Es ist ein Sturm angekündigt, Schnee und Regen. Dem will ich mich nicht aussetzen.

Habe mich noch nicht entschieden.

Kaminfeuer

Der Sturz war gerade mal ein paar Minuten her, da war mir klar, warum er passiert ist. Ich bin zu kaputt. Zu viele neue Eindrücke, der Kampf mit mir und meinen vielen gemachten Fehlern, meine Ängste, die körperliche Anstrengung, der fehlende erholsame Schlaf. Die Ablenkung durch die gerade mal gute Internetverbindung. Der Ärger darüber, mich verlaufen zu haben.

Weitere ca. 8 Meilen lang schleppte ich mich bis zum Wasser. Ich brauche eine Pause, soviel ist klar. Aber der nächste Wanderparkplatz ist 12 Meilen entfernt. Und Langsamkeit und Pausen kosten Zeit und Zeit ist bei der Verpflegung nicht eingeplant.
Die Wunde an der Stirn blutete immer wieder. Es war inzwischen früher Nachmittag. Mangels Hoffnung auf ein Wegkommen suchte ich nach einer Stelle zum Waschen.

Dort traf ich auf einige andere Hiker. Auch Tine, Susi und Roland waren schon da, obwohl sie einen halben Tag später gestartet waren. Das besorgte Interesse rührte mich sehr. Man riet mir, einen Arzt aufzusuchen und als auf der „Dirtroad“ völlig unerwartet ein Pickup vorbeikam, war alles plötzlich entschieden: Eine kurze Nachfrage und schon wurde ich aufgeladen und in das erstaunlich weit entfernte Big Bear zurück gebracht und am Krankenhaus abgeliefert.

So habe ich auch mal ein US Krankenhaus von innen gesehen.

Wartebereich
Sanitärbereich

Den Umgang mit der Kundschaft an der Anmeldung erlebte ich ganz ähnlich wie zu Hause: Diese Bagage vor der Theke macht immer nur Arbeit. Aber die Frage danach, ob ich rauche, wurde mir dann insgesamt fünf mal gestellt. Man kann ja nie wissen. Genäht werden musste nicht, Tetanus wurde aufgefrischt und schon war ich nach Stunden wieder raus.

Zu Fuß in die Lodge. Wo mich ein brennender Kamin und ein Bett (!) erwartete.

Stopp!

Den Weg verloren.
Ärger.
Wut.
Selbst Schuld.
Steinig bergauf.

So kraftlos.
Ärger.
So kraftlos.
An Trialangel Kent gedacht:
Mut geschöpft, Lolli gelutscht.
Weiter, Schritt für Schritt.
Lollistab… wohin?

Stolpern.
Sturz.
Auffangen unmöglich.

Einfach liegen geblieben. Geweint.

Warum? Das? Auch noch?

Blut überall.

Notdürftige Selbstversorgung.

Nur zurück auf den Trail.

Der Trail schützt.

Sofort Hilfe bekommen. Wundversorgung von Matt und Tom. Fachmännisch und beruhigend.

Und „mein“ Schutzengel Ludo kommt auch noch um die Ecke!

So viel Glück gehabt!!!

Jetzt.

Völlig ausgebremst. Kraftlos.

Lernen. Auf mich soll ich hören. An mich soll ich denken. Mich akzeptieren, wie ich bin. Hier sein, mich nicht in Meilenangaben oder Emails suchen.

Auf den Bauch hören, nicht auf den Kopf, sagt Ludo.

Ich höre aber nicht, was der sagt. Oder ich kann es nicht annehmen. Will es nicht haben.

Das lernst Du hier, sagt Ludo.

Ich mag mich ‚langsam‘ nicht.

Will lieber ‚erstaunlich schnell‘ sein.

Stopp.

Und die 8 Meilen bis zum Wasser?

Stopp.

Bäume

…deren Namen ich nicht kenne, säumen den Weg. Mal haben sie winzige Blätter, sind klein und knorrig gewachsen. Dann wieder gibt es diese Riesen, die durch ihre Größe und Umfang Bewunderung und Ehrfurcht erwecken. Manchmal hole ich mir bei ihnen ihren Segen ab für meinen Weg.
Wenn ihre Zeit gekommen ist, dürfen sie hier einfach sterben. Meist liegen sie, manche stehen noch. Alle sind sie irgendwann kahl und ausgeblichen und schenken mir als Beobachter Farbtupfer und Blickfänger, sowie, wenn ich hindurch gehe, Anlass zu Ruhe und Zufriedenheit: Ich fühle mich als Gast willkommen, aber völlig unwichtig. Und das widerum ist ein herrlich leichtes, erfreuendes Gefühl.

Abschiedsstimmung

Mittwoch, der 3. Mai. 11:30 Uhr.

Ich habe mein Zimmer verlassen und alles gepackt. Der Rucksack ist schwer, für sechs Tage gefüllt.

Tine, Susi und Roland bleiben noch einen weiteren Tag.

Ich verlasse: Sie, mit denen ich gestern beim Biertrinken so viel Spaß hatte und mit denen ich die letzten Tage gewandert bin. Und ich verlasse die gute, stabile Internetverbindung.

Das klingt vielleicht nach einem emotionalen Ungleichgewicht, aber beides stimmt mich traurig. Denn die Möglichkeit, z. B. durch meine Beiträge, Emails oder das ein oder andere Telefonat, Kontakt mit meinen Lieblingsmenschen zu halten, ist mir sehr wichtig.

Es gibt viele dieser Momente, in denen mir es nicht so leicht fällt, mich und die Konsequenzen meines Planens, Denkens und Handelns anzunehmen. Z.B. gestern, als ich feststellen musste, dass ich statt des Zeltes mit dem Namen „Hubba“ ein „Hubba Hubba“ und somit ein zu schweres Zweipersonenzelt, bestellt und geliefert bekommen habe. Ich kann es manchmal immer noch nicht fassen, was ich für einen Quatsch baue – dabei kenne ich mich doch schon soooo lange!

Aber dann sind wieder die wunderbaren Gänsehautmomente, die dagegen halten: Die Menschen. Diese schlichte, entspannte Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Die Bereitschaft, zuzuhören und langsam zu sprechen, um Kommunikation auch mit mir zu ermöglichen. Ich bekomme Anerkennung und Zuspruch von wildfremden Menschen in einer Art und Intensität, die ich mir selbst nicht zugestehen kann. So habe ich schon das Wort „goosebomb“ in meinen Wortschatz aufgenommen, die ich so oft im Kontakt mit den Menschen hier bekomme. Und Tränen in die Augen, die bekomme ich auch.

Mittlerweile bin ich wieder am mindestens 20km entfernten Trail angekommen. Gefahren hat mich Damon, ein Angestellter der Lodge – ’natürlich‘ für umsonst. Ich erzählte ihm einfach von meiner Traurigkeit. Es war eine so schöne, warmherzige Unterhaltung, dass wir uns zum Abschied umarmt haben. Seine guten Wünsche begleiten mich nun wie Eure Gedanken, wenn ich mich jetzt, um ca. 13:15 Uhr ab Meile 266 wieder auf den Weg mache.

Bis zur nächsten Stadt Wrightwood habe ich sechs Tage eingeplant. In der Zwischenzeit erwartet mich ein aktiver Waldbrand, der den Trail jedoch nicht direkt berührt, solange der Wind nicht dreht. Und es sind Schnee und Regen vorhergesagt. Dann wird es wohl mit dem Cowboycampen sehr ungemütlich….

Aber zu lernen und er-leben erwartet mich eine Menge!

Nach Big Bear, Teil 2

Am Montag, 1. Mai hatten wir geplant, nur 14 Meilen zu laufen. So habe ich auf mich gehört und langsam gemacht. Habe gesehen, gerochen, gehört was um mich ist, habe gemütlich gefrühstückt und gründlich gebummelt.

einfach beeindruckend: Riesige Bäume am Weg

Bei Meile 14 angekommen, stellte ich fest, dass Tine, Susi und Roland nicht dort waren. So schön war der Campingplatz auch nicht, dass dort schon um 14:30 Uhr gerne alleine geblieben wäre, so entschloss ich mich, auch weiter zu laufen.

Als dann wieder Telefonkontakt möglich war, erfuhr ich, dass die drei vorhatten, die 24 Meilen bis zum Highway nach Big Bear komplett durchzulaufen. Sie erzählten mir vom kühlen Bier, was mich anspornte, ihnen nach zu tun. Nach also 24 Meilen, ca. 38 km, versuchte ich, ziemlich abgeschafft und ohne Lesebrille, die ihre Lodge telefonisch zu erreichen, wählte aber eine falsche Nummer und erreichte die Trial Angel „Mountain Papa und Mama“. Was für ein Glück! So wurde ich am Highway abgeholt, bekam ein warmes Essen, eine Dusche, durfte meine Wäsche waschen und trocknen, so wie im Zelt auf einer Liege schlafen.

In der Wartezeit habe ich mich mit einigen der ca. 15 anderen Wanderer unterhalten. Manche sind aufgrund ihrer körperlichen Beschwerden seit Tagen dort. Jeder ist willkommen. Alles geht extrem entspannt und anspruchslos, aber doch großzügig zu: Es ist alles da was man braucht und noch etwas mehr.

Als ich die zirka 60 jährige Mountain Mama fragte, warum sie das alles macht, meinte sie nur achselzuckend: „I like it“.

Am nächsten Morgen gab es ein kräftiges Frühstück mit Kartoffeln und Ei.

Und ständig fuhr ein Auto zum Trail oder in die Stadt „Big Bear Lake“. So kam ich dann auch wieder zu meinen Wanderkollegen und für eine Nacht in die Vintage Lake Lodge, mit denen ich abends die so sehnlich erwarteten, kühlen Biere geniessen konnte.

Unterwegs nach Big Bear, Teil 1

Sonntag, 30.4.2017: Es ist ca. 19:30 Uhr und ich liege auf ca. 2439m Höhe im Schlafsack ohne Zelt. Hoffenlich wird es nicht noch kälter.

1. MAI, 4:30 Uhr. Derselbe Ort. Gut eingepackt in warmer Jacke und mit Mütze habe ich bis jetzt sehr gut geschlafen. Der kalte Wind hat sich gelegt gelegt, es ist völlig still. So ist es auch oft auf dem Trail: Erst wenn ich anhalte, meine Schritte verstummen, das blecherne, knirschene Geräusch meiner Trekkingstöcke pausiert, nehme ich die Abwesenheit des Alltags wahr. Zu hören ist dann der eine oder andere Vogel, ein Insekt, der Wind, der hier so aprupt stürmen oder völlig verschwunden sein kann. Dann nehme ich auch besser wahr, welche dieser Pflanzen gerade diesen manchmal angenehm herben Duft verstöhmt, oder ob es die Wärme der Sonne ist, die sich beim Erspüren vom hier und jetzt in den Vordergrund drängelt.

Tine, Susi, Roland und ich sind gestern gemeinsam hier angekommen. Für mich waren es 18 Meilen, also rund 29 km, die ich auf einer Höhe von ca 1100m begann. Der tiefste Punkt war bei ca. 950m. Teilweise führte der Weg am „Mission Kreek“ entlang, also immer am Wasser, und manchmal schön schattig.

Klapperschlange, nicht begeistert von meiner Anwesenheit

Die letzten Meilen waren wir aber zusätzlich mit Wasser für morgen beladen, was ich nur noch mit häufigen, kurzen Pausen, Energieschüben in Form von Lutschern (Trialangeltipp) und einer großen Portion Willen bewältigen konnte. Rund 1400 Höhenmeter mit Gepäck: Geschafft! Aber fix und fertig war ich. Echt.

Bis nach Big Bear, der nächsten Stadt, sind es nur noch 24 Meilen, die wir in zwei Tagen aufteilen wollen. Das klingt gemütlich und gefällt mir gut.

Blick vom Ankunftszeit auf ca. 2400m Höhe auf den Mt. Jacinto, wo wir her kamen.
Bild vom Feuersperrgebiet

Auf mich hören und „Ja“ sagen können

Manchmal kommt es vor, das ich sehe, höre, rieche, fühle, was gerade im Moment ist: Knirschen der Schritte, Klappern der Stöcke, Geruch der Nadelhölzer, Kräuter, Schmerzen oder Schmerzfreiheit, den Wind, die Sonne, das unbeschreiblich schöne, intensive Blau des Himmels. Spüren. Auch die Lust spüren, langsam zu sein, alleine, mit mir und meiner Kleinen. Die traut sich dann aus ihrem Versteck, traut mir zu, auf sie aufzupassen. Das sind herrlich schöne Momente ohne Hetze und Gemeinheiten der anderen Chormitglieder, die dann auch schweigen – können. Dieses Schweigen kann ich noch nicht einordnen, nicht dirigieren bzw. selbst hervorrufen. Es ist dieser freundliche, aber bestimmte Grundton: Heiter, beschwingt, vertrauensvoll, herzlich, offen für das, was gerade ist, der die Stimmen verharren und aufeinander hören lässt. Mal sehen, wann ich ihn das nächste Mal treffe.

Trial Angel und Trial Magic

Stellt Euch vor, Ihr seid auf dem Trail, es ist heiß, der Rucksack sitzt mal wieder nicht so, wie er doch eigentlich sitzen könnte und die Füße quittieren mehr und mehr die unzählbaren Steine auf dem Weg mit drückenden Schmerzen. Ihr müsst Euch das Wasser einteilen, weil der Weg ist noch weit.

Und dann kommt da so ein Schild: „Water ~>“.

Ihr biegt ab und da findet Ihr abgefülltes Wasser und ein freundliches Schild. Oder gar eine Sitzgelegenheit, eine Kühlbox mit kalten Softdrinks, Bier, Obst, eine kleine Bibliothek. Einfach so, zum Nehmen. Oftmals ohne Gelegenheit zum Spenden. Könnt Ihr Euch vorstellen, wie gut so ein kaltes Getränk schmeckt? Solche Kisten werden „Trialmagic“ genannt und sie stammen von „Trialangel“, irgendwelchen Menschen, die ein Herz für Hiker haben und deren Namen man nicht kennt.
Diese Stellen werden oft liebevoll gepflegt, obwohl sie abseits gelegen sind. Ist das nicht unglaublich weitherzig und großzügig?