Einsame Abendgedanken

Es ist ungefähr 23 Uhr abends.
lch liege in meinem neuen Zelt. Es ist kalt, vielleicht zu kalt.

Ich kann nicht richtig schlafen, immer wieder wache ich auf und grüble. Über was, kann ich gar nicht sagen. Meine Kleine sucht nach Halt und Sicherheit, hat Angst. Angst vor mir und meinen Gedanken. Angst vor morgen. Angst davor, unterversorgt zu sein an allem, was eine Kleine braucht: Liebe, Nahrung, Sicherheit, Geborgenheit, körperliches Wohlbefinden. Ich, die Große, will sich nicht kümmern. Irgendwie fühlt die sich gerade so klein an, dass sie es selbst nicht kann.

Morgen geht es erstmal runter auf 6600 Fuß, also ca. 2200m. Dann innerhalb von vier Meilen wieder rauf auf 2866m zum Mount Baden-Powell. Da es ja in den letzten Tagen geschneit hat, können das sehr anstrengende Meilen werden. Ich weiß nicht, was mich erwartet und wie es mir ergehen wird. Das nächste Wasser ist in ca. 3 Meilen. Da muss ich mich für die nächsten acht Meilen und den Berg versorgen.

Agua Dulce, die nächste Versorgungsstation ist nur 70 Meilen entfernt. Unter normalen Bedingungen sind das ca. vier Tage, aber ich traue mir selbst nicht. Meine Nahrung wird hoffentlich ausreichen, wenn meine nächtliche Beschäftigung bei Schlaflosigkeit, nämlich essen, nicht noch weitere Ausmaße annimmt.

Ich schäme mich für mich.

10. Mai 2017 – Teil 2

Wie es weiterging….

Ich habe „Detour“, dem einen der freundlichen Feuerengel, zum Abschied zugewunken, der noch im Eingang seines Zeltes rumlümmelte, und habe mich gegen 7:00 Uhr auf den abfallenden Weg zum Highway 2 gemacht. Mein Körper hat eindeutig zu mir gesprochen: Die kommende Steigung von steilen rund 400 Höhenmetern wollte er nicht schonwieder leisten, zumal der PCT den Highway im Verlauf mehrfach kreuzen würde. Da dieser aber kaum befahren ist, ist ein Hitchhiken nicht erfolgsversprechend, weshalb ich mich zu Fuß auf den Weg machte.

Nach rund 500m hatte ich aber mal wieder Glück:

Ich habe inzwischen echt viele Höhenmeter und PCT km ausgelassen, ich könnte mich schon jetzt nicht mehr als „Thruehiker“ bezeichnen, selbst wenn ich die High Sierra überqueren könnte… egal.

Beine und Füße waren in guter Stimmung, zumal die Strecke prima zu laufen war und sich die 480 Höhenmeter prima im Verlauf und im Wegverlauf versteckten.

Nachmittags erfuhr ich, das Ludo erneut gestürzt war und den PCT beenden würde. Zu ihm hatte ich großes Vertrauen, er sprach mir oft Mut zu und hat mich, z.B. nach dem Sturz, tröstend in den Arm genommen. Seine Heimreise tut mir somit doppelt leid – für ihn und für mich.

So kam ich auf die spontane Idee, ihn zum Abschied im Krankenlager zu besuchen. Keine Ahnung habend, wo ‚Palmdale‘ liegt, nahm ich nach 15 Meilen den erstbesten Hitchhike mit zwei Mexikanern in einem echt heruntergekommenen Pickup. Die Entfernung stellte sich als unerwartet weit heraus, wir fuhren bestimmt eine Stunde, zumal die zwei auch noch halten und nach dem Weg fragen mussten. Zum Abschied warnten sie mich noch, ich solle auf mich aufpassen, nicht alle Menschen seien gute Menschen. Geld nahmen sie natürlich auch nicht… „God bless you“ riefen sie mir noch zu…

Ludo hat sich echt gefreut! Ich durfte erstmal duschen, dann sind wir schön essen gegangen. Das halbe Bett hat mich nichts außer Mut und Vertrauen gekostet und ich werde diesen Ausflug ins Leben hoffentlich niemals vergessen.

Zurück gekommen bin ich mit einem Trialangel. Sie hat mich zu einem Campingplatz gebracht, auf dem ich schon wieder den ganzen Tag relaxe… und der nur 10 Meilen von Auga Dulce, der nächsten Resupply Station entfernt ist. Ich habe also erneut Meilen und Höhenmeter ausgelassen…. schäme mich zwar, frage mich, was ich alles verpasst habe, was ich hier eigentlich tue und ob ich nicht strenger mit mir sein sollte…. Aber jetzt, in diesem Moment, fühle ich mich ganz gut.

Geht es nicht darum?

10. Mai Teil 1 – aus der Erinnerung

Es ist der 15. August 2017. Ich sitze in Wetzlar am Laptop und bin dabei, die verloren gegangenen Bilder wieder in die Beiträge einzufügen. Ich stelle fest, dass der eine oder andere Beitrag einfach fehlt. So versuche ich den 10. Mai, Teil 1 einfach mal nachzukonstruieren (Anmerkung: Das Original habe ich später unter anderem Titel wiedergefunden). Die Strecke über den Mt. Baden Powell (2867 m). Ich war alleine unterwegs. Die Steigung machte mir zunächst recht wenig aus. Allerdings verlor ich am Aufstieg einige Male den verschneiten Weg und war sehr froh über meine Minispikes, also solche, die man über die Wanderschuhe ziehen und mit denen man leichter über Schnee gehen kann, vor allem, wenn dieser noch gefroren ist.

Zufallsbild, zeigt aber die Minispikes

Es war ein physisch anstrengender Tag für mich. Aber die phantastischen Ausblicke und das Gefühl, „es“ geschafft zu haben, entlohnten.

Im Nachhinein erinnere ich mich, dass ich sehr froh war, abends mit Klaus telefonieren zu können. Anschließend setzte ich mich einfach zu anderen Hikern an den Tisch. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein deutsches Päärchen handelte. Ich kam mir in deren Gegenwart schrecklich überflüssig vor und spürte meinen stillen Neid ob ihrer Zweisamkeit. Es tat mir gut, den Tatort zu wechseln: Am Feuer der zwei Sectionhiker, die ich tagsüber mehrfach getroffen hatte,  konnte ich mich nicht nur prima unterhalten, sondern auch meine nassen Schuhe trocknen. Und sie freuten sich sichtlich über mein gesammeltes Holz. Da hat nur noch das eine oder andere Bier gefehlt, um nach dem schönen Abend tiefenentspannt ins Zelt kriechen zu können…

Hier ein paar Bilder vom Tag:

Aufstieg

nach Osten Weite
der Westen unter Wolken

10. Mai 2017 Teil 1 – das Original

Es ist die Nacht zum Mittwoch, 10. Mai, 1:30 Uhr

Nach nur 10 Meilen habe ich gestern hier Rast gemacht, weil es angedroht war zu regnen und auch schon einige Tropfen runter gekommen waren. Es ist ein Campingplatz mit Sitzbänken und Feuerstellen und Plumsklo. Hatte mich abseits gestellt, damit ich bei Schlaflosigkeit oder seniler Bettflucht nicht so viele andere störe, aber es kamen mehr und mehr und ich habe recht enge Nachbarn bekommen.

Ich war gut in den Tag gestartet. Hatte wieder das Gefühl, neugierig in ein Abenteuer zu starten. Die Steigung bis zum Schnee ging auch ganz gut zu laufen, auch hatte ich mir beim Wasserholen einen Kaffee gemacht, mir also etwas gegönnt.

Im Verlauf konnte ich dann aber das wachsene Gefühl der Kraftlosigkeit so schlecht annehmen. Habe nur lächerliche 10 Meilen geschafft, obwohl ich praktisch 10 Stunden unterwegs war. Ja, klar, ich habe doch keinen Zeitplan, aber einerseits bin ich von mir so enttäuscht, und andererseits muss das Futter ja ausreichen…. Der Mut für die nächsten Etappen schwindet dann auch, sowie die Hoffnung, die anderen (Tine, Trish, Roland, Susi, Ludo, Chealsy) jemals wieder einzuholen.

Ich habe meine Traurigkeit und meine Hilflosigkeit meinen entwertenden Gedanken gegenüber mit auf meine Reise genommen. Das ist ja auch gut so, wie soll ich denn sonst lernen, irgendwie damit klar zu kommen, aber momentan leide ich eher wie üblich darunter, statt zu lernen. Die Etappe empfand ich als eklig anstrengend. Auf dem Höhenprofil sieht man nur die Linien und Zahlen; die Schneemengen, den zugeschneiten Weg mit abenteuerlichen, steilen Umwegen, die nassen Füße, die ständige Konzentration auf fast jeden Schritt und die häufige schlichte Atemlosigkeit sieht man nicht. Auch nicht die Enttäuschung, wenn man leichtfüßig überholt wird. Ja, ich weiß, Vergleiche soll man lassen. Haha.

Was man aber auch nicht in der App sieht, sind die phantastischen Ausblicke. Der PCT verläuft oft an Gratlinien, so auch heute: Man sieht rechts und links in zwei verschiedene Abhänge. Unvorstellbar beeindruckend.

Bergab haben sich dann die Knie gemeldet und auf das Tempo gedrückt. Und das drohende Wetter, von unten heraufziehende Wolken, konnte ich als Flachlandindianer auch nicht einschätzen. So habe ich mich zur frühen Rast entschieden.

Ich bin zur Zeit traurig und fühle mich einsam. Aber das gehört zu meinem PCT halt dazu.

Es hat nicht geholfen, mich zum Essen zuzumuten und mich zu einen Päärchen an den Tisch zu setzen, das sich als deutsch herausstellte. Ihre Zweisamkeit fütterte meine Einsamkeit.

Geholfen hat dann mein Platzwechsel zu den zwei Sectionhiker, die ich heute oft gesehen hatte und die ähnlich langsam waren wie ich. Sie hatten ein Feuer angemacht und ich konnte meine Schuhe trocknen. Ein bisschen konnte ich mich auch unterhalten, auch wenn es mir leid tut, nicht besser englisch sprechen zu können.

Ich habe mich also zugemutet. Geht doch. Und morgen ist ein neuer Tag. An dem ich meinen Gefühlen vielleicht etwas mutiger entgegentreten kann. Damit auch die positiven ihren Raum haben, im Chor präsent zu sein, dort Angenommensein und Wertigkeit, Kraft und Leichtigkeit zu leben.

Gute Nacht, Karin.

Nach Whrightwood 1

Mein Weg

Ich habe mich entschieden. Ich fahre mit dem Bus und überspringe die Meilen zwischen Big Bear und Whrightwood.

Ich sitze also im Bus. Casimo sitzt vor mir. Bin schon ein bisschen froh, ihn getroffen zu haben: Er ist auch auf dem PCT und nimmt heute denselben Weg wie ich, so kann ich mich an ihm orientieren. Andererseits hätte ich mein persönliches Busreisenabenteuer auch gerne selbst in die Hände genommen.

Casimo hat mir gerade aus dem Bus heraus den Verlauf des Trails erklärt, der unseren Highway kreuzt, ich sehe in die Berge und ich bin traurig. Hätte ich mich doch anders entscheiden sollen?

Wo so oft zweifle ich an meinen Entscheidungen.

Lernen:
Ja sagen.
Zu mir stehen.
Karin das ziehen wir jetzt durch.

Mein Zelt

…heißt Strato Sphere, stammt von der US Firma Tarptent, ist für eine Person großzügig ausgelegt, hat zwei schöne Apsiden, in denen alles trocken untergebracht werden kann. Man kommt super rein ins bzw. raus aus dem Zelt und auch große Menschen können bequem darin sitzen. Das Material ist stabil, das Innenzelt besteht nicht nur aus Moskitonetz, schützt also besser vor Nässe ud Kälte. Es wird, statt mit Zeltstangen, mit den Trekkingstöcken aufgebaut, die man ja eh dabei hat, was zu dem gerade noch tragbaren Gewicht von 1300g incl. Unterlegplane führt. Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt in diesem Zelt. Nicht damit.

Wo ist also das Problem!?

Um die nötige Stabilität zu erreichen, muss es unter großer Zugkraft aufgebaut werden. Die insgesamt acht (und das sind viele!) Heringe brauchen Halt. Aber die Böden hier sind meist sandig oder die dünne Waldbodenschicht trifft schnell auf Fels. Klar, man kann improvisieren… Aber nicht immer sind Felsbrocken zum Beschweren der Heringe oder Anbringen der Spannseile vorhanden oder die Zeltplätze von geeigneten Bäumen im rechten Abstand zum Festbinden umsäumt. Zudem habe ich einfach keine Lust mehr, mich täglich nach einem anstrengenden Tag darum zu sorgen, ob und wie ich denn nun mein Zelt aufbauen kann oder nicht.

Deshalb habe ich mir ein deutlich kleineres, gleichgewichtiges MSR Hubba bestellt, das zur Not auch ohne Heringe frei steht. Wenn alles gut geht, erwartet es mich in Whrightwood.

Aber erst dort….

Langeweile

Draußen ist es eklig kalt und diesig. Wir liegen schon seit Stunden hier rum, pflegen unsere Blogs, essen frische Erdbeeren zu ‚Tuna Jerky‘, getrockneten Thunfisch. Es ist langweilig. Und die spanische Familie von nebenan mit ständig heulenden Kleinkindern und laut schimpfend klingenden Eltern wirkt auch nicht gerade belustigend.

Eigentlich fühle ich mich fit und könnte morgen wieder auf den Trail. Aber diese Wettervorhersage will einfach nicht besser werden:

Matthias will morgen wieder los. Ich bin weich…. traue meiner Ausrüstung nicht, weiß nicht, ob ich nicht frieren werde. Andererseits ist es hier langweilig. Alles ist eingekauft, was benötigt wird. Und jeder „Zeroday“ ist teuer.

Wenn man erst mal auf dem Trail ist, gibt es eigentlich kein Zurück. Die spärlichen Dirtroads sind kaum befahren und wo sie hinführen ist nicht klar.

Es fährt ein Bus nach Whrightwood, der nächsten, rund 100 PCT Meilen entfernten Stadt, wo auch mein neues Zelt auf mich wartet.

Fünf Mal umsteigen, sieben Stunden Fahrtzeit. Und mir würden 100 Meilen PCT einfach fehlen.

Andererseits würde ich meine Wanderkollegen vielleicht wieder treffen.

Andererseits widerum diejenigen nicht treffen, die ich jetzt vielleicht kennenlernen könnte.

Ich will also nicht:

  • Mehr hier rumhängen
  • Frieren
  • Meine Kontakte verlieren
  • 20 Meilen laufen, die ich schon kenne
  • Den warmen, bequemen Raum verlassen
  • Meilen überspringen
  • Den für 6 Tage schwer bepackten Rucksack schleppen…
  • Sieben Stunden Bus fahren
  • Mich bei schlechtem Wetter auf mein Zelt verlassen müssen… (siehe nächster Beitrag)

Weiß irgendjemand, was ich will?

Wenn ich ja wüsste, dass alles gar nicht so schlimm ist…. Würde ich mich auf das Abenteuer „schlechtes Wetter“ vielleicht einlassen. Es verletzt die ‚Truehikerehre‘, so viele Meilen einfach zu überspringen. Aber Busfahren ist ja auch wieder so eine Art Abenteuer…..