Pfannkuchengeschichten

Gerne wie gewöhnlich gibt es bei mir zum Frühstück warmen Haferflockenschlonz mit einer Portion Obst. Zur Abwechslung spiele ich mit verschiedenen Gewürzen oder raspele Zucchini hinein, wenn der Glaube, sonst nicht genug zu bekommen, mal wieder übermächtig ist. Aber neulich hatte ich Lust und Muße, mich zu verwöhnen. Mir fiel ein Rezept ein, das ich vor kurzem in einem Kochbuch entdeckt hatte.

Ja, es durfte etwas Besonderes sein: „Pancakes“.

Früher, bei Mutter, wie auch bei der Großmutter, gab es sie pfannenfüllend groß und flach. Ich erinnere mich gerne daran… Wenn ich mich nicht irre, gab es sie selten. Meine Mutter kochte wegen ihrer Berufstätigkeit nicht mehr so oft und wenn, dann eher etwas, was auch mein Vater mochte – was bei Pfannkuchen nicht der Fall war. So hatte es immer etwas „Besonderes“, wenn die Mutter in der Küche stand, einen Pfannkuchen nach dem anderen buk, und jedem der Kinder, reihrund, einen davon frisch aus der Pfanne, heiß und duftend, auf den großen Teller legte. Wir streuten meist Zucker darauf, rollten ihn auf und schnitten ihn wie Apfelstrudel.

Warum schreibe ich hier also „Pancakes“ und bleibe nicht bei „Pfannkuchen“?

Weil mich das Bild im Kochbuch an meine Zeit auf dem PCT erinnert hat. Auch dort habe ich mich, wenn möglich, manchmal, mit einer Portion Pancakes „verwöhnen lassen“ (- oder ist dieses Wortgebinde 1:1 mit „getröstet“ ersetzbar? – Egal).

Ich habe sie bestellt, sie standen vor mir, heiß und duftend, und ich konnte genießen. Ich erinnere mich bis heute gut daran. Sie werden dort klein gebacken und sind dicker als „Pfannkuchen“. Dazu wurde Butter und immer Ahornsirup gereicht… sämig sanft tropfend und solo, für sich alleine, viel zu süß.

Ich habe also für mich, für ein gutes Gefühl gesorgt, für etwas, das ich genießen konnte. Ich konnte etwas für mich tun. Ein Moment des Einsseins.


Daran erinnerte ich mich… neulich am Pankuchentag…

…und genau dort dazwischen… auch daran:


Es war an einem späten Vormittag Anfang letzten Jahren und es war ein sonniger Tag. Ich hatte meinen Praktikumseinsatz bei der Abfall- und Stadtreinigungsdienst Freiburg („ASF“) zu dieser Zeit beim Team in Stadtteil Littenweiler. Im wöchtentlichen Rhythmus, je nach Bedarf wurden Parks und Straßen abgefahren, geleert, gesammelt, gemäht oder gekehrt. Ein Augenmerk lag auch immer auf den Glassammelcontainern und dieser, dort hinter dem Edeka ganz am Ende der Schwarzwaldstraße, war nach kurzer Zeit selbst mir auch schon bekannt als prominente Fremdmüllablagestelle, die wir (wenn ich mich mal als zeitweilig dazugehörig betrachten darf…) zu säubern hatten. Meist handelte es sich um ausgediente Möbel oder Kleidung in löchrigen Tüten, die nicht selten durchnässt und verdammt schwer auf den Kipper zu hiefen waren.

Stand ich also vor einer Ecke mit Kartons und Müllsäcken machte ich mir allenfalls Gedanken darüber, wie ich sie am geschicktesten und unbeschadet auf die Ladefläche verfrachten könnte…

Siggi, Rudi und Fred hingegen waren zwar mit vielem in der Welt nicht einverstanden, mit sich aber immer und sie versahen damals bereits zweistellige Jahre lang ihren Dienst bei der ASF, zudem viele dieser gemeinsam. Sie kannten nicht nur einander und ihren Bezirk gut, hatten ihre Körper und Werkzeuge fest im Griff, sie hatten auch den Blick für den Abfall geschärft…

So hielt mir Rudi an diesem Tag eine große Plastiktüte unter die Nase: „Schau‘ mal, was die Leute alles wegwerfen!“ Ich tat also, wie mir geheißen – und wunderte mich sogleich, denn: Haushaltsartikel, abgestellt an Glasmüllcontainern, waren ja nicht gerade so etwas Besonderes. Auf den Grund seines Erstaunens musste ich also noch mit der Nase gestoßen werden:

„Dähsch is AMC Zeuggs“

Ich denke gerne an die Zeit bei der Abfallentsorgung Freiburgs. Danke, Ihr Lieben, deren Namen ich hier geändert habe (nicht nur, weil ich sie teilweise schon vergessen habe…). Danke für den Blick hinein, den ihr mir gestattet habt. Darunter den in diese Plastiktüte…

…aus der ich damals diese flache, schwere Henkelpfanne fischte, in der ich mir heute so leckere Pfanncakeskuchengeschichten backen kann.

 


…und wer noch nicht genug davon hat:

Ich konnte mich sehr gut an folgenden Beitrag unten entsinnen, vermutlich wegen des Bildes mit dem tropfenden Ahornsirup:

aber das Suchwort „Pancakes“ führte überraschenderweise noch zu weiteren Treffern in diesem Blog – alle auf dem PCT verortet:

Packangst

Heute in einer Woche werde ich das letzte Mal die Türe meines Appartements hinter mir zuziehen.

„Ob ich zum Abschied mal ganz bewusst den Schlüssel darin liegen lasse?“

bringt mich ein Gedanke zum lachen.

Gestern Abend ist es mir – mal wieder – passiert und ich musste einen Mitarbeiter bitten, mir den Zugang zu meinen Gemächern zu verschaffen, die natürlich im obersten Stockwerk und ganz hinten im Flur gelegen sind…

Boah, tut dieser Selbsthumor gut. Und bei dem Gedanken atme ich tief aus.

Peinlich ist das. Aber ich habe mich in letzter Zeit wirklich dermaßen häufig selbst ausgeschlossen, dass klar ist, dass die ganze Selbstkasteiung auch keine Lösung ist.

Ich fühle Ruhe beim Tippen. Es verschafft mir Luft.

„Ausdruck schafft Raum“ denkt es  dazu. 


20 Monate war ich hier, ziemlich genau auf den Tag. Noch eine Woche…


Auch wenn mich von dieser Chemikalie innerlich, künstlich, wie von außen gehalten fühle: Manchmal habe ich doch noch Kontakt zu dem Erleben, dass sich echt, wenn auch nicht gut anfühlt.

Und dann fühl‘ ich mich plötzlich wieder.

Da bin „ich“ wieder, so da, wie in den letzten Jahren mir so oft präsent: Unter Druck, getrieben, irgendwie bedroht von etwas, das ich nicht wirklich ausmachen kann. Auch wenn es sich nicht gut anfühlt, bin ich froh, es zu fühlen.

Ich packe.

Post von Euch. Zu meinen Geburtstagen, zu den beiden letzten Weihnachten. Zu allen möglichen Alltagen, die dadurch irgendwie besonders wurden.

Ich nahm alle soeben wieder zur Hand. Dankbar.

Einige von den Karten oder Bildern, die ich von Euch geschickt bekommen habe, hängen noch an der Pinnwand. Sie haben mir immer wieder Freude bereitet.

Anpacken.

Und ich verspürte enormen inneren Druck.

Das Gefühl, dem allen…

nicht gerecht zu sein. Das Gefühl, nicht genug zu sein.

Wie soll ich das anpacken?


Ausdruck verschafft Raum. „Finde eine kreative Lösung!“ lädt es in mir ein. Da wird sich doch was finden lassen…

Die Mittagsruhe ist vorbei… vielleicht einfach mal…

Oder einfach die Türe hinter mir zu ziehen?

Genüsslich das Klacken hören – und über mich lachen können.

Und vielleicht brauche ich dazu noch nicht mal den Schlüssel drin liegen lassen 🙂

konstruiert und kostbar

Mein Nervensystem hat da eine Macke in der Platte: Beim Gefühl, dass es sein könnte, dass ich, einfach so und irgendwie selbstverständlich „in Ordung“ sein könnte, wie andere Menschen auch, hat es einen Kratzer.

Manchmal springt es zurück in irgendwas Altes. Und manchmal hüpft es einfach hinein in etwas, das es sich nicht recht erklären kann.

Unverständlich wie unglaubwürdig – aber gerade im Spiegel einfach freundlicher Menschen so erstaunlich schön – fühlt sich beispielsweise das Gefühl für mich an, ihnen wie selbstverständlich eine willkommene Gesellschaft zu sein. Immer wieder neu. Unvertraut, irgendwie bemerkwürdig wohlig aromatisch wie vielleicht ein seltenes Gewürz aus fernen Landen auf dem Gaumen zu schmecken vermag.


 

Ich weiß, dass die Klingeltaste manchmal klemmt. Diesmal aber hebt sie sich ohne mein Nachhelfen wieder aus ihrem Rahmen – und dann summt auch schon der Türöffner. Mittlerweile kann ich mir fast an einer Hand ausrechnen, wie oft ich noch über diese schönen, alten Muster im Boden des Altbaus zum Treppenhaus gehen werde. Diesem folge ich dann Stockwerk um Stockwerk hinauf, bis die Stufen nicht mehr steinern, sondern hölzern sind. Die Türe dort oben ist angelehnt. Von drinnen erklingt ein freundliches „Halloho“ von Andrea und ich freue mich auf sie.

Und da ist er: „Mein“ Platz.

Andrea hat viele Stühle und sie weiß, wer am liebsten auf welchem sitzt. Mir passt ihr Hocker am besten und sie stellt ihn mir immer schon an die Wand, an die ich mich manchmal so gerne ganz leicht anlehne, nur um Kontakt zu spüren. Ich fühle mich an diesem Platz sicher – und nie im Weg.

„Nimm‘ Dir.“


Eines dieser wunderbaren Geschenke, die mir hier in Freiburg zuteil wurden, sind Maria, Cornelia, Susanne und Andrea, deren Einladungen zur Selbsthilfegruppe ich oft und immer wieder gerne gefolgt bin. Sie machten ihre Tür weit auf, verschenkten Raum und ihr Vertrauen. Eine Kerze brannte. Dazu gab es einen Tee, oftmals eine kleine Leckerei und immer ein „Fühl Dich willkommen, Karin, -Gefühl“ zum Probieren – Mal um Mal kostbar.

Danke, Euch.


Ich habe gefühlt ewig gebraucht, diesen Blogbeitrag abzuschließen. Er wurde einfach nicht rund, so sehr ich mich bemühte…

„Konstruiert wirkt er“, nörgelt es in mir.

Ja.

Stimmt. Ist er ja auch. Recht hat er, der Nörgler.

Passt ja auch zum Inhalt…

Und es ist einfach schön, dass mich unter anderem auch diese Macke in der Platte und die Lust auf dieses Gefühl mit diesen lieben Menschen in Verbindung gebracht hat.

Sich völlig unverhohlen dankbar zu fühlen schmeckt übrigens auch sehr lecker.

 

 

Abschied aus Freiburg – Fülle

Und nun nehme ich Abschied von Freiburg.

Noch steht der Entlassungstermin nicht fest. Aber das Abschied – nehmen steht an.

Und es fällt mir schwer.

„Erstmal Ausmisten“… ist immer ein guter Anfang, weil ich weiß, wie sehr es mir gefällt, auf übersichtliche Ablagen und Schrankfächer schauen und zugreifen zu können. Damit es leichter werde…

…so habe ich also meine Kalender vom letzten Jahr gefunden.

Im Lichte des Abschiedes ergeht es mir bei diesem Blick zurück manchmal schlecht. Ich hätte so viel verpasst, miesepetert es in mir. Ich hätte so viel mehr machen müssen und habe meine Zeit nicht ausreichend genutzt…

Jetzt aber fühle ich mich wohl. Ich spüre Freude. Und ich bin einfach so richtig gründlich dankbar.

Wie wohl in jeder größeren Stadt gibt es auch hier verschiedene Zeitschriften, die über alle Arten von Veranstaltungen informieren. Diese hatte ich mir zu Beginn meiner Zeit in Freiburg regelmäßig vorgenommen und, damit mir möglichst wenig entgehe, alles notiert, was mein Interesse weckte.

Nahezu täglich hatte ich, zusätzlich zu meinem Rehaprogramm, irgendetwas vor: Vorträge, VHS Kurse, Konzerte, Selbsthilfegruppe, Museumsführung… Freiburg bietet eine derartige Fülle an Angeboten für die Sinne, die Neugierde und die Lust, dass ich auf Dauer die doppelte Kraft, die dreifache Zeit und die Extraportion finanzielle Mittel gebraucht hätte – wenn nicht… wir wissen, dass es anders kam: Ab Frühjahr letzten Jahres jedenfalls ging es mit meinen kulturellen Exkursen schlagartig bergab. Zudem fehlte mir neben den Praktika während der berufliche Reha einfach oft auch die Kraft, um abends nochmal mein Rad zu satteln und die Stadt zu erkunden.

Ich war mutig. Habe Dinge ausprobiert, die mir „früher“ niemals in den Sinn gekommen wären.

Zum Beispiel fällt mir da mein Kurs im „intuitiven Singen“ ein. Da durfte ich mich in dieser Wiehrevilla willkommen fühlen und mich mitmachend ausprobieren – trotz meiner Stimme und meinen Hemmungen, zu singen. Und dann war da noch der Kurs über die kreativen Annäherung an die inneren Anteile. Ganz verrückt war das Tagesseminar, in dem ich beim „Haka“ – Ritual mitgemacht habe. Beim entsprechenden Wochenendkennenlernkurs habe ich bei „Tamalpa“ reingeschnuppert… und so meine hiesige Logopädin kennengelernt. Das in Freiburg und Umgebung sehr bekannte, alljährliche „ZMF“ (Zelt-Musik-Festival), im Tierpark Mundenhof habe ich 2019 mehrere Male besucht. Will man sich die Eintrittspreise sparen, setzt man sich unter die anderen Menschen in die warme Sommernacht und hört dem Treiben in den Zelten einfach mit Sicht auf den Sternenhimmel zu. Im Konzerthaus war ich auch zwei Mal… habe die Matthäuspassion von Bach und den Messias von Händel gehört – wobei ich bei der Erinnerung daran schmunzeln muss…. kann sich jemand vorstellen, dass ich, fast zentral hinter dem Dirigenten sitzend, beim Höhepunkt der Veranstaltung, dem stimmgewaltigen „Halleluja“ – Chor, eingeschlafen bin…?! Sowas kann man nur mit Humor nehmen!

Ich bin den Veranstaltern ins Konzerthaus des Freiburger Barockorchesters gefolgt, ins Münster und in viele andere Gotteshäuser, wobei mir dabei die Christuskirche in besonders lieber Erinnerung ist. Nicht wegen ihrer Architektur. Auch kann ich die Akkustik nicht wirklich beurteilen. Aber das Angebot der kleinen Kirche lockte mich einfach und die Kosten waren erschwinglich. Zum dortigen Bach Cello Solo Konzert auf Spendenbasis konnte ich sogar einige Mitrehabilitanden motivieren – und eine von ihnen blieb sogar noch nach der Pause :-).

Und ich erinnere mich auch gerne an die Lieder Schuberts, die ich dort gehört habe, sowie an den ersten Teils des Weihnachtsoratoriums von Bach für eine kleine Besetzung. Das war damals mein Trost, weil ich mir die „großen“ Aufführungen im Konzerthaus nicht leisten wollte. Ja… und da war da noch Mozarts Requiem. Was war ich glücklich, eine Karte ergattert zu haben! Und ich erinnere mich an die Tränen, die mir während der Aufführung vor lauter Berührtsein ob der schönen Musik über die Wangen kullerten….

Ich denke auch gerade an die Rückfahrten… Meistens nahm ich den Radschnellweg entlang der Dreisam und oft erwischte ich mich beim Nachsummen oder -singen gehörter Melodien. Es hörte mich ja niemand… 🙂

Ich lächele. Jetzt. Geschenke Freiburgs…

Vorstellungskraft

von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs

Frühdienst. Die Kleidung von gestern geht nochmal. Arbeitsklamotten, staubig, aber bequem. Unten stehen die Gummistiefel. Ich stelle noch die Kaffeemaschine an, bevor ich rüber in den Stall gehe. Träge wedelnd begleitet mich der Hofhund.

Die Pferde schnauben aus tiefer Kehle – mir zu: Willkommen, Mensch!

Was für ein Gefühl… Willkommen, Gänsehaut!

Unruhe kommt auf. Routiniert öffnen meine Hände die Scharniere der Futtertruhe. Die Kelle verschwindet im Hafer. Eins, zwei, drei… Der Eimer leert sich in den Trog… gierig verschwindet der große Kopf des Kaltblüters darin, während sein Nachbar genervt mit seinen Hufen scharrt. Nichts dämpft mehr das Geräusch das erklingt, wenn schwerer Beschlag auf blank geriebenen Steinboden trifft.

Und dann das Malmen… wie sehr ich dieses Geräusch mag. Nein, ich bin nicht in Hektik – nur ist morgens einfach keine Zeit zum Lauschen. Das sanfte Rascheln des Heus entgeht meiner Wahrnehmung, wie so oft, fast gänzlich, aber sein Duft ist überwältigend. Schnell verstecke ich meine Nase im matt gewordenen Grün des letzten Sommers und atme tief ein, bevor die Morgenration mit einem Wurf in der Box verschwindet. Wenn das so gut schmeckt, wie es riecht… mmmh…

Die Ersten sitzen schon über ihren dampfenden Kaffeetassen. Der Chef weiß, was heute zu tun ist und verteilt die Arbeit. „Wir brauchen 30 Bund Radieschen – machst Du das?“

Mir wird schnell klar, dass ich schon wieder die eiernde Schubkarre genommen habe. Auf dem Weg zum Feld gehe ich in Gedanken durch den Werkzeugkeller…. vielleicht ist die Pumpe dort in dem rechten Stahlschrank?

Klar, das erste Bücken des Tages tut einfach weh. Ich weiß, dass es irgendwann besser wird. Die im Boden verbliebene Frische der Nacht leistet als Radieschenschmiermittel zuverlässig ihren Dienst. Und in den löcherigen Hinterlassenschaften der kleinen Rübchen wimmelt es von Leben: Regenwürmer, Larven, Käfer…

…wann hatte ich eingentlich zum letzten Mal saubere Fingernägel?… nur wegen seiner Belanglosigkeit verwundert registriere ich diesen vorbeiziehenden Gedanken.

Jetzt noch schauen, welcher Salat groß genug und noch nicht geschossen ist. Ein paar Gurken aus dem Gewächshaus sind auch reif für die Kiste. Viel Wasser fließt, bis die heutige Ernte im Lieferbus verschwindet.

Zeit zum zweiten Frühstück.

Die Pferde sind schon bei der Arbeit auf dem Acker. Das Misten geht mir leicht von der Hand. Ich schrubbe die Tröge und hole frisches Stroh vom Dach. Wie immer sehe ich Mäuse flitzen. Der alte Kater schaut ihnen unbeeindruckt hinterher. Er weiß, dass die nächste Gelegenheit kommt.

Das Unkraut wuchert. Zuerst die Setzlinge. Knochenarbeit.

Einfach an den Tisch setzen und reinlöffeln. Was bin ich froh, dass ich mich so oft vor dem Kochen drücken kann. Gerne kümmere ich mich stattdessen um den Abwasch.

Mittagspause. Danach noch eins, zwei Stündchen. Das muss für heute reichen.

Die Dusche ist frei. Wie gut sich das warme Wasser anfühlt. Steif schrubbel ich mir den Kopf. Frisch geduscht in sauberen, weichen Klamotten zu verschwinden ist mein täglicher Wellnessmoment.

Ich kann es genießen, zu liegen. Gut, dass es nicht so heiß ist heute. Kurz höre ich noch das Summen im Gras, bevor mir die Augen zufallen.

Gerne übernehme ich am Abend die Stallschicht. Und höre den Pferden ein Weilchen beim Kauen zu.


Der Schalter gibt klackend meinem Druck nach und löscht das Licht.

Wir sitzen noch ein bisschen draußen. Morgen ist wieder ein Tag. Das, was gesagt werden wollte, ist schon lange gesprochen. Gemeinsam schweigen wir noch etwas und hören dem Herrn Amsel auf dem Dachfirst zu, bis ich mich aufraffe und allseits eine gute Nacht wünsche. So liebe Menschen hier. Langsam glaube ich ihnen, dass ich willkommen bin.

Schwer heben mich meine Beine die Treppe hoch. Das Betreten der nervig laut knarzenden Dielen weiß ich schon lange zu meiden. Klackend senkt sich die Messingklinke und gibt den Weg in mein Zimmerchen frei.

Tut es gut zu liegen… Mein müder Körper, mein zufriedener Geist und ich sind einer Meinung. Einverstanden.

Einfach ein gutes Gefühl, hier zu sein.

 

Krankenhaus

Ich habe es nicht lange ausgehalten.

Was heißt ’nicht lange‘?

Ich habe es für die Dauer einer guten Woche ausgehalten.

Was ist ‚es‘?

Das, was ich in der letzten Woche in meinem Praktikum im benachbarten Krankenhaus erlebt, gewertet und empfunden habe.

Ich habe in der Bettenzentrale und einen Tag mit der Mitarbeiterin in der Gebäudereinigung gearbeitet. Ich bin ein ums andere Mal in Stress geraten. Stress, dem ich nicht adäquat begegnen konnte. Ich konnte mich von dem, was ich erlebte, nicht distanzieren, reagierte mit fahrigem Getriebensein und unangebrachter Wut. Die nahezu verzweifelte Verärgerung widerum darüber drängte sich ständig und andauernd in den Vordergrund und fraß mein ‚inneres Ausgleichvermögen‘ auf.

Besonders heftig reagierte mein Nervensystem auf Mitarbeiter, die durch ihr hektisches Gestresstsein scheinbar auf die Arbeitsgeschwindigkeit ihrer Kollegen und die Stimmung im Team Eindruck machen und Einfluss nehmen wollten.

Bin ich am Ende auch so eine Mitarbeiterin?

Will ich das sein?

Nein.

 


 

Ich habe das Praktikum heute abgebrochen.

Ich hätte durchhalten können. Hätte mich wiedermal durchbeißen, anschließend auf die Schulter klopfen und mich über ein gutes Zeugnis werten können.

Ich habe das Praktikum heute abgebrochen.

 


„Sie brauchen sich nicht mehr so zu stressen, Frau Nies. Im Gegenteil. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr in einen solchen Stress geraten.“

Es hat den ‚Flair‘ eines Krankenhauses und so viel Zeit gebraucht, diesem Satz Zustimmung und das notwendige Federübergewicht Einwilligung zu geben.

Die Entscheidung ist getroffen. Sie fällt.

 

Weingarten

Ich habe das Bild in einem Beilagenblättchen gefunden und ausgeschnitten. Der Betrachter blickt aus einer gehobenen Perspektive auf den Freiburger Stadtteil Weingarten im Sommer. Er sieht auf Hochhäuser und viel Grün dazwischen.

Weingarten entstand in den 60er Jahren aus Beton – geformt in einer großen Menge unterschiedlicher Wohnburgen, Hoch- und Tiefgaragen und einem kleinen, sehr belebtem, Einkaufszentrum. Russische und türkische Läden und das multikulturell anmutende Stadtteilbüro zeugen von einem bunten Bewohnerspektrum. Und dazwischen: Grünflächen, die sich vom „Dorfbach“ aus in Parkanlangen ausdehnen, Inseln bilden und den großen, alten Bäumen zum Strecken und Recken Raum geben.

Ich durfte hineinschnuppern in diesen Stadtteil – teilweise sprichwörtlich. War ein paar Tage die Arriva-Briefträgerin im Kerngebiet Weingartens. Erkennungszeichen war das blaue Lastenfahrrad, manchmal schwer bepackt von Massen an AOK-Mitgliederzeitschriften, die sich breit machten in den Kisten und gerade damit die spärliche Menge von Berufskleidungskatalogen betonten.

Im Laufe der Woche schwand mein ratlos suchender Blick nach zueinanderpassenden Namen auf Straßenschildern, Briefen und Kästen spürbar – und damit diese rastlos getriebene Stimmung.

Ich fühlte mich sicherer und zunehmend passend in dieser schrägen Rolle: Nur im Rahmen dieser vorrübergehenden Aufgabe wurde auf mein Klingeln eine Tür geöffnet und ich durfte – auch im übertragenen Sinne – einen Schritt hineingehen. Und doch war ich fremd, eigentlich nicht zu diesem Stadtteil gehörend, nur geduldet, aber grundsätzlich Gast, „egal“, und emotionsfrei austauschbar.

Und dabei war alles auch richtig: Habe ich doch mein Praktikum regelrecht beendet und waren meine Arbeitgeber zufrieden mit meiner Leistung. Bin ich doch ganz froh, in der momentanten feuchten Kühle nicht mehr in aller Herrgottsfrühe durch die Dunkelheit radeln zu brauchen…

…bin ich tief im Innern traurig.

Tschüss, Weingarten – und hab‘ Dank.

Das Gefühl, auf das ich auf Deinen Gehwegen, zwischen Namensschildern, Haustüren, wilder Sperrmüllhaufen und teilnahmslosen wie namenlosen Gesichtern traf, bleibt wohl noch eine Weile.

Ich kenne es schon so lange.