Meine Scham…

Charlotte ist eine ganz alte Freundin. Sie steckt voller Leben und hat ein durch und durch vereinnahmendes Wesen. Sie weiß, wie viel Kraft sie hat und glaubt, mich beschützen zu müssen. Dabei geht sie manchmal einfach zu weit, aber ich lasse ja gerne über mich bestimmen.

Ich kenne sie schon so lange und bin immer wieder in ihren offenen Armen versunken. Ich vertraue ihr und weiß doch, dass ich es lernen muss, sie mit ihrem Beschützerinstinkt im Zaum zu halten. Ich weiß, sie meint es nur gut.

Charlotte trennt mich gerade von meinen Freunden. Die würden so ein Ding machen wegen der paar Tage PCT. Sie meint, ich habe doch eben mal wieder versagt und meint, ich solle mich besser verstecken. Größe sei nicht mein Ding, das wisse ich doch. Und ich wisse doch auch, sie stünde mir gar nicht zu. Ich fiele doch immer wieder auf den Boden und das könne ich vermeiden, wenn ich klein bliebe. Wenn, dann müsse ich erst mal was verdienen, was wirklich groß und ganz sei und sich richtig anfühle. Und das sei bei meiner derzeitgen Verunsicherung ein lächerlicher Gedanke.

Zum (Groß-) Sein gehört, für sich Verantwortung zu übernehmen. Spüren können, was sich richtig anfühlt, und dazu stehen. Zu Entscheidungen stehen. Ja, und da gebe ich ihr Recht: Disziplin kann ich einfach nicht aufbringen.

Charlotte ist, wie sie ist. Ich kann mich auf sie verlassen. Aber vielleicht bringe ich sie ja dazu, sich mal auszuruhen.

Dann habe ich auch wieder mehr Luft zum Atmen. Und kann das Leben und meine Freunde wieder spüren und sehen.

Schwerhöriger Dirigent sucht Töne

Wenn ich beschreiben soll, wie ich mich in meinem Leben fühle, hatte ich lange Zeit das Bild, ich sei in einem Zuschauerraum ohne Eintrittskarte. Ich müsse mich verstecken, sei zu Unrecht dort, lebte ständig in Scham und Angst, als Schmarotzer entdeckt und hinausgeworfen zu werden.

In meinem Aufenthalt in Uffenheim entwickelte ich dieses Bild weiter: Ich bin zu Unrecht im Zuschauerraum. Weil ich der Dirigent bin und dort mein Platz ist. Klar, dass ich keine Eintrittskarte für den Zuschauerraum habe.

Ich habe mich in diesem Bild auf die Bühne geschleppt. Aber jetzt stehe ich da und weiß nicht, was gespielt werden soll. Es soll eine schöne Melodie sein, aber wie geht das? Was ist schön?

Damals haben die alten Stimmen gesungen. Und ich habe mich geschämt und versteckt.

Jetzt sind sie leiser – oder ich bin taub?

Das Notenblatt ist nicht zu gebrauchen.

Ich weiß einfach nicht, was gespielt werden soll.

So bin ich ständig auf der Suche, wie es klingen könnte. Manchmal glaube ich, Hinweise aus dem Zuschauerraum zu finden.

Kann sein, dass Musik in mir ist. Aber ich höre sie nicht oder kann nicht darauf vertrauen, dass die Klänge „richtig“ und die meinen sind.

Ich bin unmusikalisch, schwerhörig, tief verunsichert… so kann ich kein Dirigent sein. Aber was bin ich denn dann?

Ich gehe mit meinem Chor auf die Reise. Vielleicht finden sie dort ihre Stimmen und oder ich mein Gehör wieder.

Vielleicht werden sie sich trauen, Töne zu machen und ich werde lernen, nach ihnen zu lauschen.

Vielleicht lernen die alten Stimmen, mir zu vertrauen, dürfen sich ausruhen. Sie haben so lange gesungen.

Wie, nur wie?

…weiß die Zukunft. Weiß vielleicht der PCT.