Wetzlar, 7.7.2018
Liebe…
Der Markt findet gerade sein Ende. Sonne scheint auf die bunt gestreiften Stoffdächer der Stände, unter denen geübte Hände die Abbaurituale abspielen. Die Stimmung wirkt zufrieden. Was mag auf sie zu Hause warten?
Ich sitze in Wetzlars Kaffeerösterei mit Blick auf den „Dom“, der keiner ist. Ich gehe gerne auf den Markt und trinke überteuerten Kaffee, serviert mit selbstgebackenen Plätzchen in Herzform. So oft konnte ich hier schon das Sein üben. Das Seinlassen, das Daseinlassen, auch im Sinne des Aushaltens von Sehnsuchts- bzw. emotionalen Allergieauslösern.
Ja, im Moment könntest Du mich wohl mögen. Die freundliche, offen-herzliche Seite, die Du in Deinem letzten Brief gesondert angesprochen hast. Habe beim Lesen trotzig darauf reagiert, kannst Du Dir vermutlich denken. Denn ich bin ein Ganzes, trotz aller Zerrissenheit. Und ein Teil schreit „Hab‘ mich lieb – ich tue alles dafür!“ und ein anderer Teil wendet sich angewidert von sich selbst ab. Ein Teil weiß von den Spielchen, die alle spielen und erlaubt sie allen, nur nicht sich selbst. Dann ist die Milde im Raum („Die Milde, Mathilde“). Sie hat meistens die scheue Zuversicht dabei. Und Christoph, mein Mitgefühl hat fast überall Zugang, wenn ich ihn als Geschenk, eine fremde, aber angenommene Wertigkeit von außen betrachte. Adoptiert sozusagen.
Wind streicht über den Platz.
Ich hol‘ Dich ein bisschen näher.
Die „Alten“ haben es ein bisschen leichter mit mir, glaube ich. Die alten Freunde, die mich von früher kennen. Ein Ganzes sehen können, auch die alten Gemeinsam-Zeiten. Nicht nur das Karin der letzten zwei Jahre.
Ist es wie eine Geburt? Ein Trennen und Finden. Gleichzeitig. Ich tue mich schwer damit. Uffenheim war wohl eine Art Kaiserschnitt 😉
„Wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass.“
Es hilft nichts, das Ändern nur im Außen leben zu wollen. Ich muss ans Eingemachte. Irgendwie…
So viel zur Theorie 😉 (mal wieder…)
Es wird gerade Kaffee geröstet. Ich kenne den Geruch aus der Nähe, aber hier draußen ist er angenehm: Verbrannt und aromatisch zugleich. Streng und voller Reize… „Komm‘ näher, ich bin nicht zu durchschauen. Aber ich könnte schmecken. Du musst mich versuchen. Oder mir widerstehen.“
Was ist das Richtige für mich? Für Dich?
Das Suchen, die Verzweiflung, das geliebte Leiden lassen. Dasein oder von ihm ablassen? Das Warten auf Rettung, das Sehnen in der Fremde, bei Fremden (Menschen). Aber was dann? Leere. Ich mit mir? Alleine? Ach nee…
Hr. S., mein Therapeut meinte: „Das Schlimme ist nicht das …xyz… sondern der Widerstand dagegen. Kann man gegen Leere Widerstand haben? Schon wieder Widerstand. Erwischt.
Es wird schon gut sein. Es? Ja, jetzt, dieser Moment. Er wird schon gut sein. Er wird es schon gut mit mir meinen. Der „Jetzt“. Wieder und wieder.
Zuversicht, Du Scheue, ich danke Dir für’s Dasein. Jetzt. Mit Dir traue ich mich zu sein. Einseitig, versteckt, mutig, feige, scheu, zerrissen, unperfekt. Mit Dir traue ich mich
zuzumuten.
Karin
aber vielseitig ganz