Sei Anders!

 

Es war wieder so ein verzweifelter Moment am Telefon. Sie spürte das und wünschte mir, ich möge doch…

Ist es schlimm, dass ich vergessen habe, was? Nein.

Meine Freundin hatte einen lieben Wunsch für mich – und sie dachte wohl es sei „nur“ das.

Sie sprach Worte aus, aber ich bekam eine Entdeckung dazu – also ein ganz großartiges Geschenk ganz anderer Art.

Ich glaube, es gehört einiges dazu, dass ich es auspacken konnte. Was hat mir geholfen?

Zum einen fühle mich ja schon seit einiger Zeit und – noch – oft wie eine Nussschale in fremden Lebensgewässern. „Emotional gelockert“ könnte man vielleicht sagen. Dazu bin ich in Therapie, also angeleiteter Suche, sozusagen einer freundlichen Ermutigung zum Offensein.

Aber ohne die Beziehung zu ihr, meiner Freundin, wäre es mir wohl trotz allem nicht möglich gewesen. Das Vertrauen wirkt manchmal, wie in diesem besonderen Moment, wie eine emotionale Zeitlupe, ein Innehalten vor den sonst üblichen Automatismen.

Gegeben hat sie mir einen Wunsch, voller Güte, Milde und Warmherzigkeit.
In Empfang genommen habe ich aber eine dreckige Flutwelle aus Wut, Schmerz und Verzweiflung.

Anderes Bild: Vorgesummt hat sie mir eine schöne Melodie. Gehört habe ich schrecklichen Krach, durchdringenden Lärm.

Und anstatt mich innerlich gegen diese dröhnende, aus Kindertagen unerlaubte, untersagte, Gefühlsflutwelle abzuschirmen, mich mit Selbst- und Wunschentwertung abzugrenzen, konnte ich (und das ist das wunderbare Geschenk) ein klein wenig zuhören.

„Sei anders!“

Ich habe ihn entdeckt, ihn erstmalig ausmachen können. „Sei Anders!“ singt in einer Tour seinen Namen in herrischem Befehlston. Variationen wie „Du bist falsch“, „Du bist nicht richtig“, „Mit Dir stimmt was nicht“ kennt er aber auch. Er drängt sich vor, meint, er habe das Recht dazu.

Nein, nützlich ist er nicht mehr, aber ein alter, zäher Kämpfer. Er war wohl schon in den Generationen vor mir tätig und er nimmt mich, die Dirigentin, nicht wirklich ernst. Vielleicht ist er blind und taub oder er hat einfach einen Kratzer in der Platte und beginnt deshalb immer wieder von vorne?

Sei Anders.

Ich habe Dich entdeckt. Es ist Zeit für mich, Dich wahrzunehmen. Zeit für mich, die Momente Deines Luftholens zu erfassen. Mich zu fragen, warum Du singst. Für wen Du zu singen glauben musst.

Auch Du machst Pausen.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert